Mona (Gro Swantje Kohlhof) hat sich mittlerweile daran gewöhnt. Ihre Mutter Marlene (Sandra Hüller) leidet unter Alpträumen! Die erschütternden Erfahrungen im Schlaf stören fast täglich die Nachtruhe der beiden. Die junge Frau lebt mit ihrer Mutter zusammen, wodurch sie glücklicherweise umgehend im Fall der Fälle für eine beruhigende Umarmung und den richtigen Worten zu Hilfe eilen kann. Eine Belastung für das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter sind die immer extremer werdenden Panikattacken trotzdem. Sogar das Atmen macht Marlene nach dem plötzlichen Aufwachen Probleme. Mona sieht sich deswegen veranlasst einen Termin beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt zu vereinbaren und rät ihrer Mutter zudem, eine intensive therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Zu den zwei Behandlungen wird es jedoch nicht kommen. In ihren Träumen sieht Marlene immer und immer wieder ein und dasselbe Hotel, in dem nur Tod und Verderben zu warten scheinen. Als sie in einer Werbeanzeige eben jenes erblickt, steht ihr Entschluss fest. Ohne das Wissen ihrer Tochter besucht sie das Hotel Sonnenhügel, wo ihre Psyche sich einer immensen Belastung ausgesetzt sieht, die sie in einen komatösen Wachzustand fallen lässt. Mona reist in die Gemeinde Stainbach, um nach dem Grund des Zusammenbruchs ihrer Mutter zu suchen. Bald muss sie am eigenen Leib erfahren, dass deren Alpträume tatsächlich von der scheinbaren Idylle Stainbachs gespeist wurden…
In Deutschland gab es im frühen 20. Jahrhundert ein lebendiges Genrekino, das in aller Welt bewundert wurde. Regisseur Michael Venus weiß um die Filmgeschichte und verehrt die Horrorfilme vergangener Tage. Heutzutage ist man von einer florierenden Produktion grusliger Stoffe in hiesigen Gefilden weit entfernt. Mit der für den Niedergang des deutschen Films verantwortlichen Ideologie rechnet er auch im Verlauf von Schlaf künstlerisch ab.
Insbesondere junge Filmemacher und Filmemacherinnen drücken sich in ersten Gehversuchen häufig im Bereich des Horrors aus. Kaum ein Genre bietet so vielfältige Möglichkeiten, um mit handwerklichen Nuancen zu experimentieren. Kombiniert mit dem Motiv des Traumes wählt Michael Venus so ein Debüt, das ihm viel Raum zum filmischen Ausdruck bietet.
Fragen über die authentische Wahrnehmung der Figuren ihrer Umwelt laden zu visuellen Exzessen ein. Mona und Marlene werden mit Reizen konfrontiert, die dem Publikum ebenfalls Fragen über den aktuellen Bewusstseinszustand der Protagonistinnen stellen. Kamerabewegungen beschleunigen sich zu schwindelerregenden Kreisfahrten oder Schauplätze werden exklusiv an den Eindruck von Mona oder Marlene gebunden, was sich in einer Umgestaltung des Szenenbilds ausdrückt. Beispielsweise scheint nur Mona die blutigen Überreste ehemals menschlichen Lebens erblicken zu können. Der Bildgestaltung gelingt es ein Gefühl der verborgenen Bedrohung stilvoll auszudrücken. Im tristen Dorf, von dem wir passend zum herrschenden Eindruck ländlicher Ödnis nur kleine Personengruppen näher kennenlernen, erhalten wir Perspektiven auf die umherstreifende Mona, bei deren Ausgangspunkt es sich um Gassen oder Seitenstraßen handelt. In ihrer Schlichtheit sind es ebenso effektive Schachzüge, die langsam ein Gefühl der Paranoia auslösen. Sie wechseln sich mit schnellen Schnitten und gut aufgebauten Schockmomenten ab.
Enthusiasten des Genrefilms sollten einen abwechslungsreichen Aufenthalt in Stainbach verbringen, dessen ganze Hoffnungen auf dem betont freundlichen Hotelier Otto (August Schmölzer) zu liegen scheinen. Ein düsteres Geheimnis, das in der Familiengeschichte ruht, macht ein ganz besonderes Nachtlager für den selbsternannten Patriarchen notwendig. Mysteriöse Andeutungen dieser Art werden zahlreich gestreut. So wächst die Neugierde auf die Auflösung mit andauernder Spielzeit gehörig. Leider orientiert sich das Drehbuch letztendlich doch zu sehr am Vorbild traditioneller Erzählungen vergangener Tage, wodurch die ambitionierte Dimension von Träumen ihre psychologische Komponente massiv einbüßt. Stattdessen liefert ein schauderhaftes Deus ex Machina eine Abzweigung in märchenhafte Gefilde, die durchaus ernüchtert auf die vorangegangen Ereignisse blicken lassen.
FAZIT
Schlaf ist ambitioniertes Genrekino aus Deutschland. In seinem Debüt zeigt Michael Venus stilsichere Ansätze, die aus inszenatorischer Sicht optimistisch auf die nachfolgenden Projekte blicken lassen. Man kann sich dem Gefühl nicht verwehren, dass die surrealistischen Einflüsse und Orientierung an großen Vorbildern zu einer Überladung der Geschichte beigetragen haben. Dies sorgt letztendlich für eine nicht allzu befriedigende Auflösung. Nichtsdestotrotz mindert ein schwächelnder letzter Abschnitt den insgesamt positiven Gesamteindruck des über weite Strecken unterhaltsamen Horrorfilms nicht in erheblichem Maße. Willkommen im Sonnenhügel!
Marco Busselmaier