Positives

Die Liebe kann so schön sein. Oft genug gibt es Umstände, die ein glückliches Zusammensein zweier Menschen praktisch unmöglich machen. Im 19. Jahrhundert war dies für Homosexuelle allzu oft reine Utopie! Isabel Coixet hat entdeckt, dass sich an der Schwelle zum 20. Jahrhundert eine ganz besondere Eheschließung zwischen zwei sich liebenden Menschen ereignete. Entgegen jeglicher Konvention hatten es die titelgebenden Frauen Elisa und Marcela geschafft, den heiligen Bund der Ehe zu schließen. Sie waren nicht an Vordenker des christlichen Glaubens geraten, sondern waren gezwungen ihre Umgebung zu täuschen. Elisa wurde für die Öffentlichkeit zu einem Mann.

Gleichgeschlechtliche Liebe ist nicht weniger wert als die Liebe zwischen Mann und Frau. Dafür steht der Film ein. Bedauerlicherweise sind auch heute, über 100 Jahre später derartige Plädoyers notwendig. Eine noble Intention macht jedoch lange noch keinen guten Film. 

Daran kann auch Isabel Coixets romantische Liebeserklärung an die Filme ihrer Kindheit und Jugend wenig ändern. Es war ihr schon in der Anfangsphase der Entwicklung klar, dass diese Geschichte in schwarz-weißem Gewand erstrahlen soll. Umso passender, dass Nutzer sozialer Medien bereits diese Art der Gestaltung schon lange auf kleinen Bildschirmen gelernt haben zu lieben. NETFLIXs neuester Streich wird aufgrund der Ästhetik sich passend in die Sehnsucht vergangener Tage eingliedern. Das Bedürfnis der jungen Generation nach vergangenen Dekaden befriedigen. Ein gutes Gefühl vermitteln. Freiheit der Liebe ist voll und ganz zu unterstützen. Ein Hoch auf Elisa und Marcela…

Negatives

Ein Tief über der filmischen Interpretation der auf wahren Begebenheiten beruhenden Geschichte. Isabel Coixet besitzt offensichtlich einen ziemlich eindimensionalen Blick auf das weite Feld der Liebe. Darstellerische Hingabe und exzellente Chemie zwischen Natalia De Molina und Greta Fernández sorgen dafür, dass die Ernte in ihrem geringen Ertrag geringfügig sättigt.

Gefühle finden zwischen den Frauen nur in anstrengend visualisiertem Briefverkehr statt. Dessen Zeilen werden in einem Stil rezitiert, der eher an Sporen-Word-Performances eines studentischen Kunstmilieus angelehnt zu sein scheint.

Die Zweisamkeit, die sie sich auf der Leinwand während der Beziehung teilen, ist von Bildern makelloser Körper der Frauenfiguren dominiert. Man hat durch das Übermaß des sexuellen Aspekts von Liebe keine Chance in tiefere Gefühlsebenen vorzudringen.

Was macht die Verbindung so besonders? Was sehen sie in einander? Warum ist die Liebe so stark? Weshalb kann man nicht anders, als alle gesellschaftlichen Hürden zu überwinden? Was lässt zwei Menschen keine andere Wahl, als eine Illusion im Alltag zu leben, damit man Glück in seiner Existenz erfährt? Die Antworten auf essentiellen Fragen, die eine Bindung des Publikums an fiktionale Auslegungen von Liebe auslösen, liegen dem Drama nicht am Herzen. Dass für szenische Übergänge vor vielen Jahren allerdings Irisblenden eingesetzt wurden, scheint Coixets dafür umso wichtiger zu sein. Selten wurde ein Stilmittel inflationärer aufgezwungen, obwohl die Verwendung zum passenden Zeitpunkt einen wahren Höhepunkt markiert. 

Intentionen der feministischen Manier verlieren in der Oberflächlichkeit des propagierten Körperverständnisses ihre Wirkung. Wenn Muttermale eine Rollenzuweisung als Makel auf einer idealisierten Körperfläche erhalten, gleicht das mehr Hohn als Ermutigung.

Fazit

Elisa y Marcela besitzt eine Botschaft, die es zu verkünden gilt. Isabel Coixet hat nur ein verbogenes Sprachrohr geschaffen. Schaulust und leerer Ästhetizismus überladen dekadent einen interessanten Stoff, der jedem Widerstand trotzend erzählt werden muss.

Marco Busselmaier

Positives

Es handelt sich um das Regiedebüt des britischen Schauspielers, der durch seine Darstellung der Hauptfigur aus Steve McQueens mehrfach mit einem Oscar prämierten Film Twelve Years a Slave seinen endgültigen Durchbruch an der Spitze Hollywoods feierte. Seine erste Regiearbeit durfte er als Europapremiere auf den 69. Internationalen Filmfestspielen Berlin präsentieren. Die Berlinale ist durch die Aufnahme des Films, ihrer selbst auferlegten politischen Ausrichtung gefolgt. 

Für Ejiofor handelt es sich um eine Rückbesinnung auf seine afrikanischen Wurzeln. Die Geschichte eines Jungens aus Malawi scheint wie geschaffen für ein Drama. Die Krönung zum Stoff bietet ein Clou, der seit jeher als Verkaufsargument für Geschichten verwendet wird. William Kamkwamba ist keine reine Filmfigur. Die geschilderten Ereignisse gehören zur Biographie des heute als Ingenieur arbeitenden Malawiers. Aus ärmlichen Verhältnissen stammend hat er es vom Sohn eines Farmers durch ein Stipendium weit gebracht. Bevor der Weg zum Erfolg filmisch aufgearbeitet wurde, hat er selbst seine Geschichte als Memoiren niedergeschrieben. Während des Entstehungsprozess des Films stand er Ejiofor und dessen Schreibkollegen Bryan Mealer beim Verfassen des Drehbuches zur Seite. Auf der Pressekonferenz in Berlin war er zusammen mit Ejiofor, Aissa Maigä sowie dem Darsteller seines verfilmten Ichs anwesend. 

Diese seit Beginn des Projekts vorhandene Mitwirkung ist absolut ersichtlich. Langsam und behutsam wird die Situation der Familie während eines erntearmen Jahres erzählt. Ejiofor nimmt dabei eine Unterteilung in Kapitel vor SaatErnteHunger und Wind eröffnen unspektakulär aber dabei gleichzeitig auch unglaublich auf den jeweiligen Handlungsabschnitten enthaltenen Szenen. Mit fortschreitender Handlung kristallisiert sich ein Konflikt zwischen nach Wissen lechzendem William und auf die Tradition versteiften Vaters, dem nie eine Schulbildung zuteilwurde. Ausgefochten werden die unterschiedlichen Positionen inmitten eines politisch instabilen Umfelds. Die Regierung vernachlässigt die einfachen Farmer, deren Städtegemeinschaft im Stil eines Stammes organisiert ist. Der Chief wird von Schergen zusammengeschlagen, als er an das Gewissen des herrschenden Staatsoberhauptes appelliert. 

Es wird erschütternd gezeigt, wie eine ausbleibende essentielle Stillung der Notwendigkeit einer ausreichenden Nahrungsmittelversorgung zum Verfall einer an sich funktionierenden Gesellschaft, möge sie auch noch einen im Vergleich zu privilegierten Staaten geringen Lebensstandard besitzen, beiträgt. Als Elternteil blickt man machtlos auf die Katastrophe, welche schier unaufhaltsam vor den eigenen Augen vorbeizeiht. Dafür findet Ejiofor ein kraftvolles Bild, das einem auch lange nach der Sichtung nicht loslassen wird. In der Auswahl von simplen Situationen, die ein hohes Potential zur Identifikation besitzen, liegt eine der größten Stärken des Films. Zusammen mit den starken Leistungen der Darstellerriege, innerhalb derer alle Beteiligten wirkungsvolle Akzente setzen, bildet die Schlichtheit ein Duo, dem man sich kaum entziehen kann.

Ebenfalls nüchtern und gleichzeitig zutreffend wird skizziert, dass Afrika und jeder Kontinent für sich einzeln in seiner Weltwahrnehmung betrachtet werden muss, um Verständnis für das Fremde zu entwickeln. Der 11. September ist in Afrika ein Tag wie jeder andere…

Negatives

Emotionale Kraft aus Schlichtheit bedeutet gleichzeitig einen Hang zur Vereinfachung der Zustände von Lebensumwelt der Geschichte. Ohne eine äußere Einwirkung schafft es Williams Dorf sich zu retten. Lediglich er als brillanter Kopf, der sich gegen seinen Vater durchsetzen muss, fühlt sich dazu befähigt, die Erntekrise durch physikalisches Wissen und erfinderisches Geschick zu einem glimpflichen Ende zu führen. Angelegt als großer Felsen auf dem Lebensweg Willams, wirkt das Aufeinandertreffen der entgegengesetzten Positionen im Nachklang schnell eher wie ein Kieselstein.

Damit wird ein Narrativ, welches die Vorstellung von einfacher Krisenbewältigung vermittelt, befeuert. Es ist nicht immer ein einzelner Kopf, der als strahlender Held auftreten kann. Der sprichwörtlich entgegen aller Widerstände den Olymp des Erfolgs erklimmt. Als Beispiel einer fantastischen Erfolgsstory ist der Film ein reines Märchen. Ein Märchen mit wahrem Kern. Ein Märchen, das hoffentlich inspiriert. Die Realität und herrschenden Missstände werden fast nie von Einzelnen in einer derart glücklichen Konstellation behoben. Der entscheidende Streit lässt sich auch nicht in der hier an den Tag gelegten Geschwindigkeit schlichten. Bilder der Hoffnung, mit einer Ästhetik des Strahlens, wie wir sie hier zu sehen bekommen, sättigen für eine gewisse Zeitperiode. Hungerkrisen schaffen sie nicht aus der Welt.

Fazit

The Boy Who Harnessed the Wind begeistert mit fantastischen Performances, die einfach konstruierte Szenen größer erscheinen lassen, als sie es bei näherer Betrachtung sind. Chiwetel Ejiofor selbst und die junge Entdeckung Maxwell Simba brillieren. Das Drama fesselt emotional, erreicht dabei allerdings nie ganz die angestrebte Tiefe im Umgang mit seinen wichtigen Motiven.

Marco Busselmaier

Mona (Gro Swantje Kohlhof) hat sich mittlerweile daran gewöhnt. Ihre Mutter Marlene (Sandra Hüller) leidet unter Alpträumen! Die erschütternden Erfahrungen im Schlaf stören fast täglich die Nachtruhe der beiden. Die junge Frau lebt mit ihrer Mutter zusammen, wodurch sie glücklicherweise umgehend im Fall der Fälle für eine beruhigende Umarmung und den richtigen Worten zu Hilfe eilen kann. Eine Belastung für das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter sind die immer extremer werdenden Panikattacken trotzdem. Sogar das Atmen macht Marlene nach dem plötzlichen Aufwachen Probleme. Mona sieht sich deswegen veranlasst einen Termin beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt zu vereinbaren und rät ihrer Mutter zudem, eine intensive therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Zu den zwei Behandlungen wird es jedoch nicht kommen. In ihren Träumen sieht Marlene immer und immer wieder ein und dasselbe Hotel, in dem nur Tod und Verderben zu warten scheinen. Als sie in einer Werbeanzeige eben jenes erblickt, steht ihr Entschluss fest. Ohne das Wissen ihrer Tochter besucht sie das Hotel Sonnenhügel, wo ihre Psyche sich einer immensen Belastung ausgesetzt sieht, die sie in einen komatösen Wachzustand fallen lässt. Mona reist in die Gemeinde Stainbach, um nach dem Grund des Zusammenbruchs ihrer Mutter zu suchen. Bald muss sie am eigenen Leib erfahren, dass deren Alpträume tatsächlich von der scheinbaren Idylle Stainbachs gespeist wurden…

In Deutschland gab es im frühen 20. Jahrhundert ein lebendiges Genrekino, das in aller Welt bewundert wurde. Regisseur Michael Venus weiß um die Filmgeschichte und verehrt die Horrorfilme vergangener Tage. Heutzutage ist man von einer florierenden Produktion grusliger Stoffe in hiesigen Gefilden weit entfernt. Mit der für den Niedergang des deutschen Films verantwortlichen Ideologie rechnet er auch im Verlauf von Schlaf künstlerisch ab. 

Insbesondere junge Filmemacher und Filmemacherinnen drücken sich in ersten Gehversuchen häufig im Bereich des Horrors aus. Kaum ein Genre bietet so vielfältige Möglichkeiten, um mit handwerklichen Nuancen zu experimentieren. Kombiniert mit dem Motiv des Traumes wählt Michael Venus so ein Debüt, das ihm viel Raum zum filmischen Ausdruck bietet.

Fragen über die authentische Wahrnehmung der Figuren ihrer Umwelt laden zu visuellen Exzessen ein. Mona und Marlene werden mit Reizen konfrontiert, die dem Publikum ebenfalls Fragen über den aktuellen Bewusstseinszustand der Protagonistinnen stellen. Kamerabewegungen beschleunigen sich zu schwindelerregenden Kreisfahrten oder Schauplätze werden exklusiv an den Eindruck von Mona oder Marlene gebunden, was sich in einer Umgestaltung des Szenenbilds ausdrückt. Beispielsweise scheint nur Mona die blutigen Überreste ehemals menschlichen Lebens erblicken zu können. Der Bildgestaltung gelingt es ein Gefühl der verborgenen Bedrohung stilvoll auszudrücken. Im tristen Dorf, von dem wir passend zum herrschenden Eindruck ländlicher Ödnis nur kleine Personengruppen näher kennenlernen, erhalten wir Perspektiven auf die umherstreifende Mona, bei deren Ausgangspunkt es sich um Gassen oder Seitenstraßen handelt. In ihrer Schlichtheit sind es ebenso effektive Schachzüge, die langsam ein Gefühl der Paranoia auslösen. Sie wechseln sich mit schnellen Schnitten und gut aufgebauten Schockmomenten ab. 

Enthusiasten des Genrefilms sollten einen abwechslungsreichen Aufenthalt in Stainbach verbringen, dessen ganze Hoffnungen auf dem betont freundlichen Hotelier Otto (August Schmölzer) zu liegen scheinen. Ein düsteres Geheimnis, das in der Familiengeschichte ruht, macht ein ganz besonderes Nachtlager für den selbsternannten Patriarchen notwendig. Mysteriöse Andeutungen dieser Art werden zahlreich gestreut. So wächst die Neugierde auf die Auflösung mit andauernder Spielzeit gehörig. Leider orientiert sich das Drehbuch letztendlich doch zu sehr am Vorbild traditioneller Erzählungen vergangener Tage, wodurch die ambitionierte Dimension von Träumen ihre psychologische Komponente massiv einbüßt. Stattdessen liefert ein schauderhaftes Deus ex Machina eine Abzweigung in märchenhafte Gefilde, die durchaus ernüchtert auf die vorangegangen Ereignisse blicken lassen.

FAZIT

Schlaf ist ambitioniertes Genrekino aus Deutschland. In seinem Debüt zeigt Michael Venus stilsichere Ansätze, die aus inszenatorischer Sicht optimistisch auf die nachfolgenden Projekte blicken lassen. Man kann sich dem Gefühl nicht verwehren, dass die surrealistischen Einflüsse und Orientierung an großen Vorbildern zu einer Überladung der Geschichte beigetragen haben. Dies sorgt letztendlich für eine nicht allzu befriedigende Auflösung. Nichtsdestotrotz mindert ein schwächelnder letzter Abschnitt den insgesamt positiven Gesamteindruck des über weite Strecken unterhaltsamen Horrorfilms nicht in erheblichem Maße. Willkommen im Sonnenhügel

Marco Busselmaier

Das Leben als Teenager kann aufwühlen. Von den üblichen Herausforderungen, die vom Schulleben, den sozialen Kontakten und dem Elternhaus an Heranwachsende gestellt werden, sind die Erfahrungen der 17-jährige Autumn (Sidney Flanigan) jedoch weit entfernt. Nachdem sie sich seit längerem unwohl fühlt, entschließt sie sich zum Gang in eine Arztpraxis. Ihr Verdacht wird dort durch einen Test ohne jeden Zweifel bestätigt. Sie ist schwanger, ohne dies je beabsichtigt zu haben. Schon bald erwägt sie die Möglichkeit eine Abtreibung durchzuführen. Die Gesetze ihres Heimatstaates Pennsylvania erlauben ihr einen solchen Eingriff allerdings nur mit Einwilligung ihrer Eltern. Diese Option scheidet für Autumn aus, da sie ihre Schwangerschaft geheim halten möchte. Lediglich ihrer Cousine Skylar (Talia Ryder) vertraut sie sich an. Zusammen machen sich die jungen Frauen deswegen auf den Weg nach New York, wo Autumn die erhoffte Hilfe ohne die Involvierung außenstehender Personen finden kann…

In der Eröffnungssequenz beschreibt die Autorenfilmerin Eliza Hittman die sich anbahnende Situation ihrer Hauptfigur treffend. Autumn steht auf der Bühne einer Talentshow ihrer Schule. Mit einer Akustikgitarre entblößt sie sich einer breiten Öffentlichkeit, die in der Konstellation des Performativen über sie urteilt. Erfüllt sie die Erwartungen? Erfährt sie Unterstützung, Kritik oder Schmähung? All diese Fragen lassen sich auf die Rolle der werdenden Mutter oder einer Frau übertragen, die sich dazu entschlossen hat, ihr Kind nicht zur Welt zu bringen. Der Film wählt die zweite Abzweigung. Durch die resolute Verschwiegenheit Autumns, gibt es keinen Kreis an Figuren, der auf sie in einem Akt der Beurteilung einwirkt. Sie ringt alleine um Ihre Autonomie der Entscheidungskraft. Alleine ihre Vertrauensperson Skylar und wir begleiten sie.

Das selbstgewählte Dasein der Abkapslung von Bezugspersonen wird durch die Kameraarbeit eingefangen. Immer sehr nah bewegen wir uns mit Autumn durch die Straßen von New York oder den Gängen des U-Bahnnetzes. Es gerät schier in Vergessenheit, dass sich die Handlung in einer der Metropolen unserer Zeit abspielt.

Es ist ein Weg gekennzeichnet von Intimität, auf den wir geführt werden. Eine Intimität die berührt. Ihre Wucht erreicht sie nicht unbedingt dadurch, weil wir alles erfahren, sondern durch die Verwendung nüchterner Dialoge, die in ihrer Apathie pointierte Nuancen aufweisen. Höhepunkt dieser Vorgehensweise ist ein Fragenkatalog, den Autumn mit einer Betreuerin in der Abtreibungsklinik durchgeht. Die im Titel genannten Antwortmöglichkeiten erfahren durch ihre schiere Nennung und schrittweise mit Emotionalität erfüllter Wiedergabe durch die Beteiligten eine unvorstellbare Ausdruckskraft. Sidney Flanigan ist alleine in der extrem langen Einstellung sichtbar. Wir beobachten, wie die aufgebaute Fassade ihres Charakters stückweise zum Einsturz gebracht wird. Repetitiv schallend besitzen die vier Worte eine Einschlagskraft, die für einen der einfühlsamsten Momente des Kinojahres sorgt. 

Fragen bleiben offen. Es ist eindeutig erkennbar, dass Autumn etwas widerfahren ist, dass sie zutiefst in eine emotionale Abschottung geführt hat. Um was es sich dabei handelt, ist nicht entscheidend. So wird viel eher der Fokus auf die essentielle Notwendigkeit der Selbstbestimmung einer jeden Frau gerichtet, die sich in einer ähnlichen Lage befindet. Das höchste Gut, das gerade in Amerika inmitten religiös aufgeladener Debatten mit verbrannter Erde viel zu oft untergraben wird. Einer direkten Diskussion in Form konfrontativer Konflikte zwischen Charakteren geht der Film aus dem Weg. Es wird zwar deutlich gemacht, dass die Belegschaft der ersten Praxis aus Autumns Heimatort stark konservativ geprägt ist, da sie unter dem Deckmantel der Freundlichkeit, Autumn von der Geburt eines Kindes überzeugen möchte. Der politische Kern wird bei der Betrachtung des Einzelschicksals ersichtlich. Es bedarf keines verworrenen Austausches, der sowieso in einer Sackgasse endet, die geschuldet der fest gefahrenen, entgegengesetzten Denkmuster vorprogrammiert ist. Hier ist eine junge Frau, der eine Möglichkeit zur Selbstbestimmung gegeben werden muss. Auf mehr kommt es nicht an.

Voreilige Schlüsse verleiten dazu, den Vorwurf von Männerfeindlichkeit des Films in den Ring zu werfen. Das Handeln von männlichen Akteuren ist derartig gestaltet, dass Autumn und Skylar entweder abgewertet oder mit zutiefst sexuellen Belästigungen konfrontiert werden. Eine durchweg positive Bezugsperson männlichen Geschlechts tritt nicht auf. Bei näherer Betrachtung erweist sich ein solcher Vorwurf schnell als haltlos, weil die Perspektivierung nahezu ausnahmslos an Autumn gekoppelt ist. Sie hatte in der Vergangenheit definitiv traumatisierende Begegnungen mit einem oder mehreren Männern. So ist es nicht verwunderlich, dass ihre Figur nur beklemmende Situationen mit ihnen wahrnimmt. Eine aus ihrer Sicht verständlicherweise von Misstrauen geprägte Wahrnehmungswelt wird inszeniert. Leider wird in einem potentiellen Ausnahmefall keine Chance zur Differenzierung wahrgenommen. Vielleicht verdient die Ausweglosigkeit, die für viele Frauen bittere Realität ist, auch nur kohärenten Pessimismus ohne Hoffnungsschimmer, um einen notwendigen Appell zu starten. Autumn wird letztendlich ein friedvoller Moment gewährt, der auch in seiner Fragilität von Poesie erfüllt ist. Es war ein langer Trip. Man möchte nicht erahnen, was auf sie in der Heimat wartet.

FAZIT

Niemals Selten Manchmal Immer ist ein einfühlsames Drama der langsamen Gangart, das für bedrückende Stimmung sorgt. In seinen stärksten Momenten entfesselt der Film eine Intimität, die in ihrer Intensität ganz tief in den Kinosessel drückt. Eine Abtreibung ist kein Moment, der nach Beurteilung verlangt. Eliza Hittman hat dies wunderbar erkannt.

Marco Busselmaier

Laura (Laura Tonke) und Hans (Marc Hosemann) sind in ihrer Beziehung im Trott des Alltags gefangen. Acht Jahre haben die beiden an der Seite des jeweils anderen verbracht. Die Routine greift in jeden Lebensbereich über. In der Wahrnehmung Außenstehender handelt es sich bei dem Gespann fast wie selbstverständlich um Bruder und Schwester mit einem ausgesprochen guten Verhältnis. Der Gipfel des besonderen Verhältnisses ist wohl der von Hans ausgewählte Kosename für seine Partnerin. „Heinz“ schallt es als Anrede völlig selbstverständlich durch die Orte, an denen sie sich gemeinsam aufhalten. Frust kommt erst auf, als das Paar seinen Jahrestag im vertrauten asiatischen Restaurant zelebriert. Dort kommt es zu einer für Laura einschneidenden Begegnung. Plötzlich steht ihre große Liebe aus vergangenen Zeiten Max (Hans Longo) am Tisch! Es knistert spürbar. Hans scheint das alles ziemlich kalt zu lassen, er händigt ohne Zögern sogar die Heinz‘ Nummer an den offensichtlich interessierten Max aus. In den Augen von Heinz ist diese Tatsache ein deutliches Signal, dass es so in der gemeinsamen Beziehung nicht weitergehen kann. Inspiriert von den in Liebensfilmen vermittelten Idealen des Kinos beschließen sie, ihrer Partnerschaft neues Leben voller Leidenschaft und Romantik einzuhauchen. Wenn es nur so leicht wäre, wie in den Filmen…

Den Klischees den Kampf ansagen und sie schonungslos ad absurdum führen! Ziemlich früh macht die Regisseurin deutlich, woran es ihr in ihrer aktuellsten Arbeit gelegen ist. Kino als Eskapismus vom Alltag ist schön und gut, gerade im zwischenmenschlichen Zusammenleben ist das Dargebotene auf Zelluloid gebranntem Weg zum Glück mit allen Dornen bis zu seiner finalen Entfaltung realitätsfern. Wenn man sich mit dem Meistern des Alltags, der einem Großteil der Filmfiguren während ihrer Liebeseskapaden in der Charakterzeichnung verwehrt wurde, auseinandersetzen muss, fällt es nicht leicht, magische Momente zu kreieren. Mit Drehbuch schon überhaupt nicht. Szene für Szene müssen das Hans und Laura zu spüren bekommen. Weshalb der Funke nicht so recht überspringen möchte und ein flammendes Feuerwerk im Kinosaal ausbleibt, resultiert aus dem nicht in entscheidender Härte durchgezogenen, dabei für sich alleinstehend, eigentlich innovativem Konzept, das der Geschichte zugrunde liegt. Die Reflexivität in Bezug auf das etablierte Grundproblem des romantischen Films tauscht man durch eben die attackierten allseits bekannten Regeln. In all ihrer Überzeichnung führen aus dem Nichts aufgebaute Irrwege die karikativ gehaltenen Hauptfiguren letztendlich genau von vorher verulkten Szenerien in flaches Dramaterrain. Da nützt eine weitere Blüte von Metaebene gegen Ende nichts, wenn man Subversion gegen Resignation eintauscht. Spott gegenüber dem eigenen Publikum!

Laura Tonke und Marc Hosenmann mimen am Limit. Reizen die gebotenen Entfaltungsmöglichkeiten des überaus erzwungenen romantisierten Ambientes voll aus, leiden jedoch spürbar an den unnachvollziehbaren Gedankensprüngen ihrer Rollen. Es sticht bei den wichtigsten Schritten der Story deutlich hervor, dass die Beziehungsreise, auf der sich Hans und Heinz befinden, vor allem von Reaktionen auf plötzlich eintretende Ereignisse gekennzeichnet ist. Dabei bleiben Bezüge zu vorher getätigten Schritten leider aus. Das Gefühl an der Beziehung zu arbeiten stellt sich nicht ein, sodass es einem Sketchformat mit schwachem Grundgerüst gleicht. In den besten Momenten schaffen es Tonke und Hosenmann durch ihre Harmonie, welche ein wohl pointiertes Timing schafft, zu begeistern. Bis zu diesen rar gesäten Stellen werden einige Klischees zu harmlos durch die Zuckerwattemaschine gedreht.

Das immanente Problem des Paares- des Films- offenbart sich an einem fatalen Irrtum, der sich im Laufe des Geschlechtsaktes vollzieht. Welches Paar es vor dem männlichen Orgasmus so hält, dass durch das Ejakulieren auf dem Bauch der Gespielin einer verantwortungsvollen Verhütung genüge getan ist, sollte die Reife für eine Beziehung trotz einigermaßen fortgeschrittener Lebenserfahrung überdenken. Mit den Mustern des Filmes ausgedrückt: Dummheit auf der Leinwand darf schon sein, allerdings nicht unter dem Mantel der sich selbst bescheinigten Intelligenz.

Marco Busselmaier