Positives
Die Liebe kann so schön sein. Oft genug gibt es Umstände, die ein glückliches Zusammensein zweier Menschen praktisch unmöglich machen. Im 19. Jahrhundert war dies für Homosexuelle allzu oft reine Utopie! Isabel Coixet hat entdeckt, dass sich an der Schwelle zum 20. Jahrhundert eine ganz besondere Eheschließung zwischen zwei sich liebenden Menschen ereignete. Entgegen jeglicher Konvention hatten es die titelgebenden Frauen Elisa und Marcela geschafft, den heiligen Bund der Ehe zu schließen. Sie waren nicht an Vordenker des christlichen Glaubens geraten, sondern waren gezwungen ihre Umgebung zu täuschen. Elisa wurde für die Öffentlichkeit zu einem Mann.
Gleichgeschlechtliche Liebe ist nicht weniger wert als die Liebe zwischen Mann und Frau. Dafür steht der Film ein. Bedauerlicherweise sind auch heute, über 100 Jahre später derartige Plädoyers notwendig. Eine noble Intention macht jedoch lange noch keinen guten Film.
Daran kann auch Isabel Coixets romantische Liebeserklärung an die Filme ihrer Kindheit und Jugend wenig ändern. Es war ihr schon in der Anfangsphase der Entwicklung klar, dass diese Geschichte in schwarz-weißem Gewand erstrahlen soll. Umso passender, dass Nutzer sozialer Medien bereits diese Art der Gestaltung schon lange auf kleinen Bildschirmen gelernt haben zu lieben. NETFLIXs neuester Streich wird aufgrund der Ästhetik sich passend in die Sehnsucht vergangener Tage eingliedern. Das Bedürfnis der jungen Generation nach vergangenen Dekaden befriedigen. Ein gutes Gefühl vermitteln. Freiheit der Liebe ist voll und ganz zu unterstützen. Ein Hoch auf Elisa und Marcela…
Negatives
Ein Tief über der filmischen Interpretation der auf wahren Begebenheiten beruhenden Geschichte. Isabel Coixet besitzt offensichtlich einen ziemlich eindimensionalen Blick auf das weite Feld der Liebe. Darstellerische Hingabe und exzellente Chemie zwischen Natalia De Molina und Greta Fernández sorgen dafür, dass die Ernte in ihrem geringen Ertrag geringfügig sättigt.
Gefühle finden zwischen den Frauen nur in anstrengend visualisiertem Briefverkehr statt. Dessen Zeilen werden in einem Stil rezitiert, der eher an Sporen-Word-Performances eines studentischen Kunstmilieus angelehnt zu sein scheint.
Die Zweisamkeit, die sie sich auf der Leinwand während der Beziehung teilen, ist von Bildern makelloser Körper der Frauenfiguren dominiert. Man hat durch das Übermaß des sexuellen Aspekts von Liebe keine Chance in tiefere Gefühlsebenen vorzudringen.
Was macht die Verbindung so besonders? Was sehen sie in einander? Warum ist die Liebe so stark? Weshalb kann man nicht anders, als alle gesellschaftlichen Hürden zu überwinden? Was lässt zwei Menschen keine andere Wahl, als eine Illusion im Alltag zu leben, damit man Glück in seiner Existenz erfährt? Die Antworten auf essentiellen Fragen, die eine Bindung des Publikums an fiktionale Auslegungen von Liebe auslösen, liegen dem Drama nicht am Herzen. Dass für szenische Übergänge vor vielen Jahren allerdings Irisblenden eingesetzt wurden, scheint Coixets dafür umso wichtiger zu sein. Selten wurde ein Stilmittel inflationärer aufgezwungen, obwohl die Verwendung zum passenden Zeitpunkt einen wahren Höhepunkt markiert.
Intentionen der feministischen Manier verlieren in der Oberflächlichkeit des propagierten Körperverständnisses ihre Wirkung. Wenn Muttermale eine Rollenzuweisung als Makel auf einer idealisierten Körperfläche erhalten, gleicht das mehr Hohn als Ermutigung.
Fazit
Elisa y Marcela besitzt eine Botschaft, die es zu verkünden gilt. Isabel Coixet hat nur ein verbogenes Sprachrohr geschaffen. Schaulust und leerer Ästhetizismus überladen dekadent einen interessanten Stoff, der jedem Widerstand trotzend erzählt werden muss.
Marco Busselmaier